Bei Zugreisen beobachtet man die verschiedensten Ausgaben des Homo sapiens. Wären da zum einen die gleichgültigen, in die neuste Tageszeitung vertieften Pendler, denen man eventuell ihre politische Gesinnung anhand der Wahl des Lesematerials nachsagen könnte und die ihr GA griffbereit in der linken Hemdblusentasche verstaut wissen und zum anderen Leute wie ich, die nur ab und zu den Zug brauchen, weil die langen Staus nach Zürich hinein gerade ihren Höhepunkt erreicht haben. Meine grösstes Problem stellt sich bei dieser Art zu reisen schon zu Beginn, da ich irgendwie immer an Orientierungslosigkeit leide, sobald ich ein Wagon betrete und mich verzweifelt umsehe in der Hoffnung, ich würde anhand der Leute erkennen in welche Richtung der Zug weiterfahren wird. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle anmerken, dass ich nicht mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen kann, ohne dass ich geschmacklich mein zerkautes und halbverdautes - wäääääh - Frühstück ruminiere.
Da sitzt sie. Etwa 175 cm gross und ca. 49 kg schwer, lange gepflege Nägel, Löwenmähne mit dem neusten Schnitt - und wirklich schönen Strähnen, wie wohl ihr Coiffeur heissen mag - neuste Mode und irgendwie sehe ich ihr an, dass sie die selbe Fahrtrichtung wie ich bevorzugt. Gefragt, gesetzt, uff ich sitze richtig. Der Zug fährt an und langsam beginnt sich ein komischer Geruch breit zu machen, den ich nicht richtig definieren kann. Einerseits erinnert er mich an diese riesen rosa Bazoka Joe Kaugummis, die ich immer als Kind im Spanienurlaub gegänggelet habe, andererseit "chribelets mer i dr Nase" je länger ich diesem Geruch ausgesetzt bin. Die Quelle ist eindeutig definierbar und begutachtet nun ihre Nägel, die Ursache jedoch nicht. Ich beschliesse nun meine politische Gesinnung kundzutun und hole die neuste Weltwoche hervor und beginne einen Bericht über die Suche nach dem nächsten Sexpartner im Inet zu lesen - der Kaugummigeruch wird stärker, ich merke wie sie die farbigen Bilder, die den Bericht umrahmen, betrachtet. Genervt, nicht wegen ihr, sondern wegen des beissenden Kräuseln in meiner Nase, blättere ich zu einem anderen Bericht. "Iih isch das e Gruusige" höre ich sie sagen. "Das ist Frank Zappa" sage ich nur, wobei ich damit bei ihr nicht das geringste Verständnis für den halbnakten, dünnen Mann im Tarzanslip bewirke. "Was macht denn der?" - "Er war Musiker" und schaue vom Text auf das Bild daneben, der Zappa hat fast die gleiche Frisur wie die Dame neben mir... Ah ein Bericht von Doris, da wird meine Sitznachbarin wohl keine Einwände haben. Ich lese. 'Pfff' und nochmals 'pfffffffffff' - ich huste und kann es nicht glauben - eine riesen rosa Dose mit weisser Schrift und gelben Blumen... "Was ist denn das für ein Parfüm" frage ich in der Hoffnung, dass sie nicht noch ein drittes Mal dieses grauslige Zeug in meine Richtung sprayt. "Das ist Haarspray, ganz neu von xyz, die macht jetzt auch in Haarprodukten". Ich kenne keine xyz und bereue, dass ich nicht einfach die Werbung mit George Clooney betrachtet habe, dann hätte mein Bazoka-Girl sicher ihre Haare - und meine Nase - in Ruhe gelassen. "Darf ich mal? Ich muss in Aarau raus" sagt sie. Ich hätte schwören können, sie muss bis Zürich.